Ich kann ‘Mindset’ nicht mehr hören!
Die Mindset – Posts von Conrad Giller.
Wie entwickle ich ein agiles Mindset, mit dem man auch arbeiten kann?
Ein pragmatischer Ansatz für ein ziemlich komplexes und diffuses Thema.
Ich kann das Gerede vom agilen Mindset nicht mehr hören, sagte ich wohl schon mal. Zum einen schieben so viele Leute den Begriff wie eine alles erklärende und erfolgversprechende Bugwelle vor sich her, ohne schlüssig erklären zu können, was sie damit eigentlich meinen. Das klappt ja schon beim Wort ‘Agil’ nicht. Und jetzt noch in Kombination mit ‘Mindset’. Es ist also meistens nicht mehr als ein netter Beitrag zum Bullshit Bingo.
Und falls sie es doch erklären können, dann ist es so umfangreich, kompliziert oder komplex, dass es schwierig ist, damit zu arbeiten.
Aber das ist mir wichtig, diese Praktikabilität. Bei mir muss alles einen Henkel haben, sonst kann ich damit nicht viel anfangen. Und ich denke, das muss auch für etwas so Wichtiges wie ein Mindset funktionieren. Deswegen habe ich mich aufgemacht, eine pragmatische Lösung für das agile Mindset zu entwickeln, mit dem sich gut arbeiten lässt. Ein Rant in 5 Akten.
Das Mysterium ‘Mindset’
Das ‘Mindset’ ist eine tolle Erfindung unseres Gehirns, kann man nicht anders sagen. Es ist so etwas wie eine Verhaltens-Voreinstellung für bestimmte Situationen und sollte uns im Dreikampf der Evolution Vorteile verschaffen: Fortpflanzen, Überleben, Anpassen. Es sollte uns helfen, überlebenswichtige Entscheidungen im Streit mit unseren Konkurrenten um begrenzte Ressourcen schneller und gut zu fällen. Besser bei der Partnerwahl, schneller im Kampf um die Nahrung, cleverer in der Anpassung an veränderte Gegebenheiten. Hat ja auch irgendwie geklappt mit dem ‘nicht viel nachdenken, sondern aus den Tiefen des Hirns heraus handeln’.
Dieses entwicklungsgeschichtlich uralte Verhaltenssteuerungsprogramm haben wir immer noch und es leitet uns auch heute prima durch die Klippen des Alltags, auch wenn wir inzwischen in der Lage sind, intensiver über Entscheidungen nachzudenken. Machen wir aber nicht immer.
Mindsets im Alltag
Ein Beispiel für ein Mindset, das vermutlich jeder hat, ist der individuelle Umgang mit der Straßenverkehrsordnung, speziell den Hinweisen für angemessene Geschwindigkeit. Manche leben regeltreu und fahren immer nur so schnell, wie es erlaubt ist, höchstens. Andere interessieren sich nicht für die Schilder am Straßenrand und fahren, wie sie Lust haben und wieder andere fahren genau 10 km/h schneller, weil es dann noch nicht so viel kostet, wenn man erwischt wird.
Manche unterscheiden dann noch, ob sie alleine im Auto sitzen oder mit der Familie, andere eher, ob ein Vertreter der Ordnungsmacht in Sicht ist.
Drei verschiedene Mindsets mit zwei Hilfsgrößen zur Anpassung eines Grundmusters an die Gegebenheiten. Wir haben auch ein Mindset in Bezug auf die Ampeln an der Kreuzung, manche Radfahrer sehen das komplett anderes als die meisten Autofahrer. Oder denken wir daran, was jeder so als passende Stelle zum Parken bezeichnet und selbstverständlich nutzt. Ich höre hier mal auf.
Mindsets sind Muster für Verhaltensweisen, auf die wir spontan zugreifen und mehr oder weniger unreflektiert ausführen. [Beim Parken in der 2. Reihe haben wir vielleicht kurzfristig leichte Gewissensbisse, aber wir sind ja gleich wieder weg.]
Mindsets sind interne Entscheidungshilfen
Je öfter wir diese speziellen Handlungen ausführen, um so selbstverständlicher wird auf die Muster zugegriffen. Allerdings geht es beim Mindset nicht um die Handlungen selbst sondern um die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Handlung.
Mindsets sind interne Entscheidungsvorlagen. Wir sparen Zeit und gewinnen Sicherheit, wenn wir bei Entscheidungsprozessen auf erfahrungsbasierte, erfolgversprechende Muster zurückgreifen können.
Und davon haben wir eine ganze Menge, für alle möglichen Situationen. Die Frage ist, ob wir immer die passenden für die jeweilige Situation an Bord haben. Falls nicht kann es anstrengend werden. Denn Mindsets haben intern eine ziemlich hohe Priorität, ganz krass sind die für Veränderungsprozesse zuständigen. Die Hartnäckigkeit der beiden Kollegen ’Das haben wir noch nie so gemacht’ und ‘Das haben wir schon immer so gemacht’, die kennen wohl alle.
Was schon lange da ist, lässt sich schwer ändern
Es wäre schön, wenn man diese Entscheidungsmuster einfach austauschen könnte, so wie ein Speicherkarten – Chipwechsel beim Handy. Alte-Arbeitswelt-Chip raus, Neue-Arbeitswelt-Chip rein. Rebooten. Läuft.
Wie schwierig das tatsächlich ist, das erlebe ich immer wieder in meinen Trainings zur Gesprächsführung in Konfliktsituationen. Damit das dort einfacher geht, habe ich vor einiger Zeit Columbos Regeln® entwickelt, ein Kommunikationsmuster der anderen Art für schwierige Gespräche, frei nach dem schrulligen TV-Inspektor aus Los Angeles. [Hier auf der Seite findest Du dazu einen Videokurs plus Lernkarten.]
Was Columbo mit Mindset zu tun hat und wie mich einer der beiden Erfinder der Figur in einem Gespräch drauf gebracht hat?
To be continued – stay tuned for more!
Mr. Columbo@ConradGiller
Das Mindset ist ein entwicklungsgeschichtlich uraltes Programm zur Entscheidungsfindung. Wir profitieren immer noch davon, denn es gibt uns Sicherheit und Stabilität. Aber manchmal nervt es gewaltig, nämlich immer, wenn wir uns verändern wollen. Aber was hat Columbo, der schrullige TV-Inspektor aus Los Angeles, mit einem neuen Mindset für Gesprächsführung zu tun und welche Rolle spielt dabei das letzte Geheimnis von Columbo, das mir Bill Link, einer der beiden Erfinder der Figur, in einem Gespräch verraten hat?
Inspektor Columbo als Co-Trainer?
Ich bin im Grunde meines Herzens Trainer. Trainer und Coach für alles Mögliche im Zusammenhang mit mündlicher Kommunikation. Angefangen hat das vor 30 Jahren mit Trainings für Leute, die ins Fernsehen wollten, weiter ging es mit Vortrags- und Präsentationstrainings für alle Themen und Ebenen, später kam Storytelling und Konfliktmanagement dazu und jetzt bin ich in der Neuen Welt des Zusammenarbeitens angekommen und der Lösung einiger Probleme, die sich dabei auftun.
Meist war eine charakteristische Anforderung: Nicht so viel Theorie, lieber schnell anwendbare, einfache Tipps, die auch noch klappen, wenn ich wieder weg bin. Das passte zu meiner Arbeitsweise als Radikalpragmatiker.
Und schrittweise wurde mir dabei klarer, dass einzelne Tools und Regeln nicht so gut funktionieren, wenn die Einstellung nicht dazu passt. Wenn Deinem Bauch nicht gefällt, was sich Dein Kopf ausgedacht hat, dann wird er immer eine Möglichkeit finden, das während Deines Vortrages zu kommentieren. Mimik, Gestik, Haltung, Bewegung, Blickkontakt, Stimme und Sprache bieten ausreichend Fläche für subversive Aktionen. Verstellungskunst mit Hilfe von Schauspielunterricht zu erlernen hilft Dir auch nicht, denn Deine Glaubwürdigkeit muss nicht nur einen Auftritt überstehen, sie muss halten. Es geht nicht um ein Showelement, sondern um eine Eigenschaft. Authentisch zu sein ist eine sehr spannende Herausforderung.
Ich begann mit Tiefenbohrungen zu den Einstellungen, die hinter dem Verhalten liegen und es steuern. Ich wollte passende Verankerungs- und Veränderungsmöglichkeiten finden.
Zu Hilfe kam mir meine zugegeben etwas verrückte Idee, aus den Verhaltensmustern des schrulligen Retro-TV-Cops Columbo ein Kommunikationsmodell für schwierige Gespräche zu basteln. Ich fand seine nicht-konfrontative Art sehr interessant und wollte wissen, wie er das macht, was dahintersteckt. Es wurde spannend.
Ein Ausflug nach Hollywood
Ich screente alle Columbo-Folgen nach charakteristischen Verhaltensmustern, feilte an den Formulierungen und suchte nach einer sinnvollen Sortierung. Raus kamen Columbos Regeln, 7×3 Beschreibungen von Mikro-Verhaltensmustern, gut nachvollziehbar und direkt umsetzbar, die meisten mit relativ wenig Übung. [Die 7 Grundmuster findest Du auf den Columbo Cards]
Was ich da wirklich gefunden hatte, wurde mir erst in längeren Gesprächen mit Bill Link klar, einem der beiden Erfinder von Columbo, als er mir verriet, wer Columbo eigentlich ist. Erlaube mir einen kleinen Ausflug nach L.A.
Ursprünglich für ein Theaterstück suchten Bill Link und sein Kollege Richard Levinson einen passenden Charakter für ihren Hauptdarsteller, den Inspektor. Und sie beschlossen, schamlos zu klauen. Sie erinnerten sich an einen interessanten Typen namens Porfirij Petrowitsch, den Untersuchungsrichter aus Dostojewskis ‘Schuld und Sühne’. Das war so ein Typ intellektueller Fallensteller, clever, ausgebufft, fragend, abwartend, beobachtend. Der gefiel ihnen, er war nicht so dominant unterwegs wie der Standard-Cop in den klassischen US-Serien. So sollte ihr Inspektor auch sein, gewaltfrei.
Aber eine Eigenschaft störte sie noch, er war ein Jäger. Porfirij Petrowisch bekam Adrenalinschübe, wenn er der Verhaftung des Täters näher kam, er konnte es kaum noch abwarten, zuzugreifen. Selbst diese letzte Regung kurz vor Schluss war den beiden Autoren schon zu aggressiv. Also suchten sie weiter und wurden fündig bei Chesterton und seinem Pater Brown. Ein Priester, dessen Weg mit Kriminalfällen gepflastert ist. Dabei ergeben sich aus dem Konstrukt des Paters drei interessante Besonderheiten.
- Für Pater Braun gibt es nur einen Richter auf der Welt, und der weilt nicht unter den Irdischen. Also ist es nicht an Pater Braun, selbst über das Verhalten des Täters zu richten, es steht ihm nicht zu.
- Weiter hat er in seiner langen Dienstzeit vermutlich schon in alle Abgründe der menschlichen Seele geblickt und weiß, dass es Situationen gibt, in denen Menschen selbst zu Mord fähig sind. Er ist nicht verwundert oder entrüstet, empört oder erschüttert über so ein Verhalten. Er kennt es.
- Und schließlich weiß er, dass all diese verirrten Seelen nicht auf der Erde wären, wenn es der HERR nicht so gewollt hätte. Es sind alles nur Prüfungen, denen er sich stellt.
Das alles gibt ihm Gelassenheit. Seine Aufgabe besteht darin, das schwarze Schaf zu finden, das gegen die Gebote des Zusammenlebens verstoßen hat und es in einem läuternden Gespräch wieder auf den rechten Weg zurückzuführen. Damit ist seine Arbeit getan.
Columbos Geheimnis
Und Columbo? Den haben sich die Autoren zusammengeklont. Columbo ist der Kopf von Porfirij Petrowitsch und der Bauch von Pater Braun. Ein clever und unbeirrbarer Fragensteller, der immer seine Antworten findet, der dabei nicht verurteilt und manchmal sogar Verständnis für die Verhaltensweise seiner Gesprächspartner zeigt. Jemand, der nur herausbekommen will, wie etwas wirklich gewesen ist und nichts dagegen hat, wenn man ihn dabei unterschätzt.
Eine sehr interessante Grundhaltung. Deswegen ist Columbo so entspannt. Nein, tatsächlich ist er fokussiert. Der Rest seiner Persönlichkeit ist Hollywood, der einprägsame Charakter für das Publikum.
Und irgendwann hatte ich begriffen, dass es für meine Trainees zwei Wege gibt, ihr Gesprächsverhalten zu verändern, über die Regeln oder über das dahinterliegende Mindset.
Entweder, sie wenden die 21 Regeln ‚by the book‘ an, weil sie deren Wirkung überzeugt. Sie kommen zu besseren Gesprächsergebnissen, egal wie sie innerlich drauf sind. Je länger sie das machen, umso größer ist die Chance, dass sie auch deren Wesen verinnerlichen, weil sie die entspannende Wirkung auf sich selbst und die anderen nicht mehr missen möchten. Das ist aber nicht wichtig, solange sie Gespräche führen, mit denen beide Seiten gut leben können.
Oder sie finden die neue Grundhaltung so interessant und wertvoll, dass sie die verinnerlichen und automatisch mit Beziehungsangeboten a’la Columbo rauskommen, die Fragetechniken werden mit der Zeit immer besser.
Heute würde man sagen, dass sich die Autoren mit Columbo ein Mindset gebastelt hatten und ihn damit auf die Straßen von Los Angeles schickten. Der Rest ergab sich.
Ich hatte ein Mindset im vorigen Teil beschrieben als eine Voreinstellung für bestimmte Entscheidungen. In Konfliktgesprächen geht es vor allem anderen um die Entscheidung, aus welcher Perspektive, mit welcher Brille ich meinen Gegenüber betrachte. Will ich Richter sein oder Ermittler? Geht es um Schuld und Sühne oder um Prozesse und Lösungen? Columbo ist immer letzteres. Und das macht Columbos Mindset und die dazugehörigen Verhaltensmuster so leicht übertragbar auf die schwierigen Gespräche in unserem Alltag. Habe ich die veränderte Perspektive als oberste Entscheidungsprämisse verinnerlicht, ergibt sich der Rest fast von selbst.
Der Masterplan für Verhaltensänderungen?
Beenden wir den Exkurs in die Filmwelt und kommen zu unserer Realität zurück. Fassen wir noch einmal zusammen: Es gibt zwei Wege für eine Verhaltensänderung:
- Die Anwendung neuer formeller Regeln führt zu neuen Gesprächs- und Verhaltensmustern. Vielleicht ändert sich dabei im Laufe der Zeit auch die Einstellung. Das ist aber nicht zwangsläufig.
- Eine deutliche Veränderung der Einstellung unterstützt das Ausprobieren neuer Gesprächs- und Verhaltensmuster. Die Umsetzung folgt eher ‘Versuch und Irrtum’ und wird mit jeder Anwendung besser.
Aber wie muss das eine formuliert sein und was ist für das andere die Voraussetzung, wenn wir von der Alten Welt in die Neue Welt reisen wollen? Wie kommen wir damit zu unserem ‘Agilen Mindset’?
To be continued – stay tuned for more!
Mr. Columbo@ConradGillere
Mit einem passenden Mindset handeln wir schneller und gewinnen Sicherheit, weil wir auf erfahrungsbasierte, erfolgversprechende Routinen zurückgreifen können. Wie hilft uns das heute und welches Mindset aus der Alten Welt wollen wir eigentlich verändern?
Das Mindset von Führungskräften in der Alten Welt
Für Veränderungsprozesse gibt es zwei Eckpunkte – wo kommen wir her und wo wollen wir hin? Nicht nur bei Google.Maps brauchen wir beide Punkte, um eine Reiseroute festzulegen. Beschreiben wir also erst einmal das Mindset aus der Alten Welt, das wir verändern wollen, bevor wir an die Veränderung gehen. Vielleicht wird die Aufgabe dadurch klarer.
Was machen wir eigentlich den ganzen Tag?
Wenden wir uns dafür dem beruflichen Alltag zu. Was machen wir dort den ganzen Tag? Wenn wir bei der Analyse von allen situativen Besonderheiten abstrahieren, dann bleiben nur vier Tätigkeiten übrig: Miteinander Reden, Analysieren, Entscheiden und Umsetzen.
- Miteinander bereden, wie wir eine Aufgabe am besten erledigen, jeder für sich und alle zusammen.
- Analysieren, welche Faktoren welchen Einfluss haben.
- Eine Entscheidung treffen, welchen der möglichen Wege wir gehen werden.
- Unseren Part abarbeiten.
- Miteinander Reden, wenn es nicht klappt, wie verabredet.
- Neu analysieren
- Neu entscheiden…
Wem das bekannt vorkommt: ‘Inspect & Adapt’ beschreibt dasselbe, ebenso und etwas detaillierter der Deming-Circle mit seinen vier Stufen ‘Plan → Do → Check → Act → ’. Es klingt nur alles etwas technischer, weil das Bindemittel außen vor gelassen wurde, die Kommunikation. Die beiden Modelle beschreiben einen Prozess, unabhängig davon, wie man von einer Stufe zur nächsten kommt.
Genau das ist unsere nächste Frage – wie kommen die Entscheidungen zustande? Vereinfachen wir dafür zunächst auch den Entscheidungsprozess radikal.
Wir wollen von A nach B. Auf dem Weg liegen Hindernisse. Jemand muss bestimmen, wie wir mit den Hindernissen umgehen, irgend eine Lösung zwischen Beseitigen und Vermeiden.
Manchmal ist nicht mal klar, wie das A gerade aussieht [Ist-Wert] oder ob B oder C das bessere Ziel wären [Soll-Wert]. Das können wir hier wohl vernachlässigen, auch die tatsächlich meist höhere Kompliziertheit oder Komplexität der Gegebenheiten, die nicht wirklich etwas ändern. Irgendwie müssen wir auch in diesen Fällen zu einer Entscheidung kommen, es ist dabei nur mehr zu bedenken.
Wie wurden bisher Entscheidungen getroffen?
Wie wurden diese Entscheidungen in der Alten Welt getroffen, in einer Welt, in der die Position in der Hierarchie den Grad der Entscheidungsbefugnis definiert? Das Muster ist einfach, der dazu berechtigte Entscheider bestimmt, auf der Basis seiner Erfahrungen, was und wie er für richtig hält. Aus dessen Sicht klingt das dann so:
‘Ich weiß, wie es geht und setzte durch oder um, was ich brauche.’
Lass das mal sacken. Erinnere Dich an Meinungsverschiedenheiten aus dieser Zeit und wie sie gelöst wurden. Am Ende lief es immer darauf hinaus, oder? Eine extrem klare und deutliche Verhaltensbeschreibung, wir haben das klassische Mindset eines Entscheiders gefunden.
Gut, da gibt es noch eine Varianz der Macht. Bestimmer treten in ihrer Art nicht identisch auf. Das hängt von vielen Faktoren ab: Charakter, soziale und kommunikative Kompetenz, persönlicher Führungsstil, Stressresistenz, Erfolgsdruck vom System, Erfolgsdruck durch die inneren Antreiber…
Aber ändert das etwas an den Prämissen der Entscheidungsfindung? Ich denke nicht. Da passen sogar noch die ganzen pseudopartizipativen Varianten hinein wie:
- Ich erkläre mich nach meiner Entscheidung, damit ihr das verstehen und mittragen könnt.
- Ich erkläre es vor meiner Entscheidung, damit ihr sie einfacher nachvollziehen könnt.
- Ich höre mir schon an, wie ihr meine Entscheidung findet, so isses ja nicht.
- Jeder kann vor meiner Entscheidung mal seine Meinung sagen.
- Ihr könnt gerne diskutieren und eine Empfehlung abgeben, ich werde drüber nachdenken.
Am Ende greift immer wieder dasselbe Muster, dasselbe Mindset: Ich entscheide, was ich für richtig halte. Es ist ein Mindset, weil beim Entscheiden innerlich überhaupt keine Zweifel aufkommen, ob dieser Weg der Entscheidungsfindung angemessen ist oder nicht. Er ist es!
Das wirklich verrückte an diesem Satz ist etwas völlig anderes.
Das Mindset der Alten Welt: Führung und Macht
Habt Ihr jemals erlebt, das eine werdende Führungskraft in der Alten Welt auf einen Lehrgang geschickt werden musste, um ihm dieses Mindset zu implantieren? Never! Das ging anders. Es wurde von den Führungskräften permanent vorgelebt und weitergegeben, von Generation zu Generation, von oben nach unten, von den alten Hasen zu den Frischlingen. Basis war die Verteilung der Macht. Macht über das Handeln anderer. Wer die Musik bezahlt, bestimmt das Programm.
[Deshalb dauern manche Meetings auch so lange, weil nicht klar ist, wer die Macht hat. Erst muss geklärt werden, wer das Recht zum Entscheiden hat, damit der dann bestimmen kann, wem er Recht gibt. Das ist wie in der Juristerei. Erst muss geklärt werden, welches Gericht zuständig ist, bevor dieses Recht sprechen kann.]
Klar, es gibt Kurse für Techniken, wie man diesen Führungsstil durchsetzt, falls man selbst anders drauf ist: ‘Lerne zu lächeln, während du Schmerzen bereitest’ oder ‘So machst Du ihnen klar, dass Deine Ziele auch ihre Ziele sind’ oder ‘Wie verteilt man die Möhren so, dass niemand zu satt wird’.
Unabhängig davon – das Mindset mit der Kombination von Macht und Entscheidung existiert bereits. Vermutlich nicht erst seit der ersten Begegnung mit einer Führungskraft. Vermutlich wird es vielen schon in der Kindheit implantiert. Die Erziehungsberechtigten geben vor, was richtig und falsch ist, was wir dürfen und was nicht.
Wir können schon von Implantaten sprechen, so fest, wie sie verankert sind und so schwer, wie sie sich ändern lassen.
Unter bestimmten Voraussetzungen machen die Implantate sogar sehr viel Sinn. Die Verantwortlichkeiten sind klar beschrieben und abgegrenzt und damit ist auch die Schuldfrage schon geregelt, lange bevor es zu einer Handlung kommt. Ich kann die Gefährlichkeit einer eigenmächtigen Aktion, selbst wenn sie erfolgreich verläuft, aus den Vorschriften und persönlichen Anweisungen sauber ableiten. Das gibt vielen Sicherheit, die blöderweise eher durch das vorschriftenkonforme Nichthandeln entsteht als durch das eigenständige und kreative Handeln.
Andere fühlen sich durch genau dieses System gegängelt, eingeschränkt und entmündigt und möchten das komplette System des Zusammenarbeitens ändern. Ein Chipwechsel wäre nicht schlecht, alt raus, neu rein. Was müsste da drauf sein? Am besten gleich die komplette neue Unternehmenskultur. Ja, das wäre zu schön.
Aber zumindest die Werte, nach denen wir zusammen diskutieren, entscheiden und arbeiten wollen – wenn wir die geändert bekommen,das würde schon viel helfen. Aber ob das funktioniert?
Nach dem ‘woher’ beschäftigen wir uns als nächstes mit dem ‘wohin’, um dann zum ‘wie’ zu kommen.
To be continued – stay tuned for more !
Mr. Columbo@ConradGiller
Das Mindset der Alten Welt zum Thema Entscheiden ist klar. Auf der Basis von Macht funktioniert es nach dem Prinzip ‘Ich weiß, wie es geht und setzte durch oder um, was ich brauche.’ Damit kann jede Diskussion zu einem Ergebnis gebracht werden. Wie sieht das Äquivalent dieser obersten Entscheidungsmaxime für die Neue Welt aus, in der es den Faktor Macht nicht mehr geben soll?
Die Neue Welt: Entscheiden ohne Macht
Auf der Basis von Macht zu entscheiden kommt nicht mehr so gut an. Doch ohne Macht zu Entscheidungen zu kommen, mit der alle leben können, das haben wir in der Alten Welt nicht so richtig gelernt. Anweisungen gibt es nicht mehr und für Diskussionen auf Augenhöhe fehlen eine Reihe von Erfahrungen. Was uns in diesem System auch nicht oft vorgelebt wurde, ist eigenständiges Handeln, Übernahme von Verantwortung und die Möglichkeit, anhand von Fehlern zu lernen, ohne persönliche Nachteile zu erleiden. Für viele schwindet die Sicherheit.
Ein Dilemma. Ein neues Mindset muss her.
Streichen wir im Mindset der Alten Welt ‘Ich weiß, wie es geht und setzte durch oder um, was ich brauche’ die Macht und suchen nach einer anderen Form der Meinungsbildung. Mal sehen, was dabei herauskommt.
Wer entscheidet?
Beginnen wir beim Subjekt. Aus dem ICH der entscheidenden Einzelperson wird das WIR der Gruppe. Das war einfach.
Woher kommen die Ideen?
Weiter geht es mit der Kompetenz für die richtige Entscheidung und dem Weg dahin. Das WISSEN darum, WIE ES GEHT, das kam bisher nicht vom Himmel. Tatsächlich war es schon immer eigenes und fremdes Erfahrungswissen. Es waren erlebte, beobachtete, gehörte und angelesene Erfahrungen, immer wieder überprüft im Vergleich der erwarteten und erreichten Ergebnisse. Dieses Prinzip von Versuch und Irrtum wird uns auch in der Zukunft begleiten. Wir werden weiterhin gezielt nach neuen Lösungen SUCHEN müssen, unterstützt durch Analysen, Tests, Feldversuche etc. Gleichzeitig sollten wir uns für den Zufall offen halten, um etwas sehen oder FINDEN zu können, nachdem wir vielleicht gar nicht gesucht haben, oder nicht an dieser Stelle.
Was soll rauskommen?
Kommen wir zum Objekt der Begierde, der Qualität der Lösung. Was wird aus dem WAS ICH BRAUCHE, also der besten Lösung für den Moment für den Entscheider? Wie definieren wir, was nötig ist? Sicherlich können wir hier bei der BESTEN LÖSUNG bleiben, das klingt gut. Wer gibt sich schon gern mit weniger zufrieden, wem kann man die zweitbeste Lösung verkaufen, wer wird mit irgendwas ein Einhorn?
Für wen ist das Ergebnis wichtig?
Aber für wen soll es die beste Lösung sein? In der Alten Welt steht das ICH für den Eigennutz des Entscheiders, egal worin der bestand. Wer ist der Nutznießer in der Neuen Welt? Die Entwickler, das ganze Produktionsteam, das Controlling, die Geschäftsführer oder die Investoren? Sind es vielleicht sogar die Auftraggeber oder die Endkunden? Wie diese komplizierte oder komplexe Interessenlage aufgeschlüsselt werden kann, möchte ich gerne auf einen der folgenden Beiträge verschieben, in dem wir uns mit der Umsetzung des gerade Erarbeiteten beschäftigen. Die Formulierung FÜR ALLE BETEILIGTEN wäre mir völlig ausreichend. Wirklich aller? Ich denke, ja, denn ein Ausschluss einzelner Beteiligter an einem Projekt würde ja bedeuten, deren Ansprüche zu ignorieren, obwohl sie hinterher mit dem Ergebnis leben müssen.
Wie wird die Entscheidung getroffen?
Was passt noch nicht? Das Prinzip ICH SETZE UM ODER DURCH müssen wir noch ersetzen, die Machtkomponente muss noch weg. Daraus kann nur ein Miteinander werden, GEMEINSAM wäre eine passende neue Formulierung, oder? Fertig!
Und was ist mit AGIL?
Yo, das Agile muss auch noch rein. Aber wie, was ist ‘agile’? Wie lässt es sich kurz und knapp definieren? Das Wort ‘agil’ gab es schon lange bevor das ‘agile Arbeiten’ erfunden wurde, es ist sogar schon ziemlich alt. Das etymologische Wörterbuch hilft uns weiter. Es findet seine Verwendung im Deutschen seit dem 16. Jh.und verweist über das Französische zurück zum Lateinischen. Die Bedeutung: körperlich und geistig sehr beweglich, regsam und wendig, in Bewegung setzen, treiben. Vielleicht reicht für unseren Zweck aus, was ich als Beschreibung vor einiger Zeit sinngemäß in einem Tweet las, dessen Autor mir leider entfallen ist: Agilität bedeutet, immer wieder zu überprüfen, ob die Annahmen und Rahmenbedingungen der letzten Entscheidung noch stimmen und die Ergebnisse noch passen. Das hat man natürlich früher auch schon gemacht, aber nicht so häufig, die Zeiten waren geruhsamer. IMMER WIEDER könnte passen als Beschreibung für das permanente aktive Infrage stellen der eigenen Leistungen.
Wie sieht das Mindset für die Entscheidungsfindung in der Neuen Welt jetzt aus, wenn wir alle Pusselteilchen zusammensetzen?
Gemeinsam suchen und finden wir immer wieder die beste Lösung für alle Beteiligten!
Ein ziemlich einfacher Satz, der viel Diskussionsstoff in sich birgt, sobald man sich aufmacht, ihn im eigenen Team umzusetzen.
Ist er zu einfach, um die Verhaltensänderungen zu erreichen, die wir brauchen? Wir werden sehen.
To be continued – stay tuned for more!
Mr. Columbo@ConradGiller
Wir haben einen einfachen und einleuchtenden Satz gefunden, mit dem wir auf die neue Art zu unseren Entscheidungen kommen können: Gemeinsam suchen und finden wir immer wieder die beste Lösung für alle Beteiligten! Aber was soll daran so besonders sein und vor allem – brauchen wir denn keine neuen Werte?
Ohne Werte geht es nicht?!
In einer Reihe von Barcamp- und und MeetUp-Sessions habe ich mit den Teilnehmern genau darüber diskutiert. Beispielsweise darüber, ob der Satz nicht ein bisschen zu einfach für die komplexe Welt ist, wie er konkret in einem Team funktioniert, ob wir wirklich noch eine weitere Beschreibung für das Agile Mindset brauchen und wie das zu den neuen Werten der Zusammenarbeit passt, die jetzt überall in den Unternehmen ausgerollt werden?
Spannende Fragen. Beginnen wir mit der letzten, der nach den Werten.
Die Werte – Workshops
Mit den aktuell sehr intensiv betriebenen Prozessen zum Wertewandel habe ich ein paar Probleme. Das Ziel der Aktionen ist eine neu Kultur der Zusammenarbeit, das finde ich gut. Ich verstehe nur nicht, wie man über die Definition neuer Werte dorthin gelangen will.
Wie funktioniert das? Die gesamte Belegschaft erarbeitet auf Teamebene ihre wichtigsten Werte. Das kann ein gutes Gefühl geben, denn alle werden beteiligt, angehört und können die Zukunft mitgestalten. Das Ergebnis sieht natürlich bei jedem Team anders aus. Das geht gar nicht anders bei einem so individuellen Prozess, der quer über alle Abteilungen, Bereiche und Ebenen stattfindet und Menschen mit unterschiedlichsten Arbeitsanforderungen einschließt.
Um daraus ein firmenübergreifend gültiges Wertesystem zu entwickeln, müssen die Vorschläge aus den Teams noch irgendwie von gefühlt 126 auf, sagen wir mal, sieben eingedampft werden. Dabei gehen zwangsläufig einzelne Begriffe verloren. Irgendeine Person aus dem verantwortlichen Transformationsteam meint vielleicht, dass ‘Offenheit’ in ‘Transparenz’ mit enthalten ist, beginnt zu clustern und fängt an zu streichen. Er übersieht dabei, dass in einem Team lange und engagiert darüber diskutiert wurde, ob das zwei verschiedenen Werte sind oder ob die Begriffe dasselbe meinen und die Mitglieder sich am Ende aus für sie guten Gründen für beide Begriffe entschieden hatten.
[Daniel Dubbel, @derDoubleD, hat dazu perfekt passend Ende 2018 mal eine kleine Feldstudie zum Thema Wertevielfalt für Zusammenarbeit gemacht. Es ist erstaunlich, wie wenig Gemeinsamkeiten es da gibt und wie schwer es fallen muss, sich in größeren Gruppen auf ein paar davon zu einigen. Hier geht’s zum Blog.]
Teure Typografie an der Wand
Am Ende optimiert der Vorstand vielleicht noch ein wenig, gibt ‘Unsere 7 Neuen Werte’ frei und lässt sie mit Goldfarbe im Foyer an die Wand schreiben. In einer zweiten von oben nach unten laufenden Workshop-Welle wird dann allen Beteiligten erklärt, warum das jetzt die richtigen sind. [Das ‘Agile Mindset einmassieren’ nannte das Klaus Leopold.] Lange Gesichter bei denen, die ihre Werte aus dem Workshop nicht wiederfinden, die sich selbst darin nicht wiederfinden.
Der Lange-Gesichter-Effekt entstand interessanterweise auch in den oben genannten Workshops. Allen war der Übungscharakter klar. Zusammengewürfelte kleine Gruppen sollten sich in zwanzig Minuten intensiver Diskussion auf ihre sieben wichtigsten Werte der Teamarbeit verständigen. Die Enttäuschung war bei einigen sehr groß, als sie beim Clustern und Priorisieren der Werte über alle Gruppen bemerkten, dass ein ihnen sehr wichtiger Wert hinten runter fiel. Es war nur ein Gedankenspiel, es ging dabei um nichts – außer um die Wertschätzung für die persönlichen Werte.
Je größer ein Unternehmen ist, desto nahe liegender scheint die Idee, den ‘bottom-up-Part’ gleich einer wie auch immer zusammengestellten Expertenkommission zu übergeben. Das macht es zwar einfacher, aber nicht besser, denn jetzt kommt es gleich von oben, wie früher. Daran ändert auch nichts, dass später darüber in den Teams diskutiert wird, was die Neuen Werte für das Verhalten jedes Einzelnen bedeutet.
Es bleiben Fragen
Drei Aspekte irritieren mich bei diesem Vorgehen:
- Einzelne Werte von Personen oder ganzen Teams gehen in diesem hoch aggregierenden Prozess verloren. Das ist nicht förderlich für Identifikation und Engagement. Doch genau darum soll es doch bei der agilen Transformation gehen, oder?
- ‘Von oben nach unten’ ist eine klassische Methode des ‘Command & Control’ aus der Alten Welt, mit der die Neue Welt gesichert etabliert werden soll. Wie soll das passen?
- Auch das flächendeckende Ausrollen eines neuen Wertekanons, der Wunsch nach Einheitlichkeit, steht im Widerspruch zur gewollt eigenverantwortlichen Entwicklung in den Teams. Die muss zwangsläufig Unterschiede produzieren und keine identischen Werte-Clone. Aber wie entsteht dann ein gemeinsamer Geist über das gesamte Unternehmen?
Die Metronom – Videos
Machen wir einen kleinen Ausflug in die Physik. Es gibt ein paar sehr verblüffende Videos über die Synchronisation von Metronomen, die Taktgeber von Musikern. In einem wird gezeigt, wie sich 64 dieser Metronome selbst synchronisieren. Sie stehen auf einer großen Platte, werden zum Start unterschiedlich ausgelenkt und finden nach etwa 3 Minuten zum perfekten Gleichklang. Der Trick besteht darin, dass die gemeinsame Standfläche frei schwingen kann und so eine Kommunikation in Form einer mechanischen Rückkopplung zwischen den einzelnen Metronomen zulässt. Würde man eins der Metronome durch Außeneinwirkung aus dem Takt bringen, dann synchronisiert sich das System auf dieselbe Weise schnell wieder selbst.
Blockiert man jedoch die Platte, dann gibt es auch keine Synchronisation. Die entsteht also nicht durch maximale Kontrolle, korrigierende Eingriffe und verordneten Gleichklang sondern durch individuelle Freiheit und Kommunikation untereinander.
Ein schönes Experiment, aber was soll die Schlussfolgerung für unser Thema sein? Sollen etwa alle Teams ihre eigenen Werte haben? Warum nicht? Wenn sie damit zu den Ergebnissen kommen, die ihre Auftraggeber erwarten, teamintern und teamübergreifend? Wenn sie sich dabei innerhalb eines Verhaltens-Rahmens bewegen, der durch die Unternehmens-Compliance und den Gesetzgeber vorgegeben ist? Was spricht dagegen? Im Laufe der Zeit werden sie sich alle irgendwie aufeinander einstellen wie die Metronome auf der frei schwingenden Platte.
Also: Werte sind gut und wichtig. Sie drücken Haltungen aus.
Für die Zusammenarbeit in der Neuen Welt müssen wir noch einen Schritt weiter gehen und fragen, wie gut Werte die Entwicklung eines adäquaten Verhaltens unterstützen. Fragen, ob es da vielleicht noch etwas besseres gibt, um aus Haltungen Verhalten zu machen.
Mr. Columbo@ConradGiller
P.S.: Die Illustration entstammt, jetzt auch mit freundlicher Genehmigung, dem Buch “Agilität neu denken” von Klaus Leopold, mehr über den Autor und das Buch gibt es bei Rethinking Agile.